Automatisierte Fahrzeuge auf Schweizer Strassen - Stand der Gesetzgebung
Schon bald können automatisierte Fahrzeuge auf Schweizer Strassen zugelassen werden. Möglich wird das durch das revidierte Strassenverkehrsgesetz und die dazugehörige Verordnung. Wer zahlt bei Unfällen? Wie steht es um ethische Vorgaben an die KI? Im Interview beantwortet Stefan Huonder vom Bundesamt für Strassen ASTRA diese und weitere Fragen zur Zukunft des automatisierten Fahrens.

Welche Gesetze müssen angepasst werden, um das automatisierte Fahren auf Schweizer Strassen zu ermöglichen?
Um das automatisierte Fahren zu ermöglichen, ist eine Anpassung des Strassenverkehrsgesetzes erforderlich. Diese Anpassung hat das Parlament am 27. März 2023 beschlossen (BBl 2023 791) .
Was wird auf Stufe Gesetz und was auf Stufe Verordnung geregelt?
Im Gesetz delegiert das Parlament die Regelungskompetenzen zum automatisierten Fahren an den Bundesrat und legt verschiedene Rahmenbedingungen fest, die der Bundesrat bei einer Regelung zu beachten hat. Im Gesetz wird festgelegt, auf welche Anwendungsfälle des automatisierten Fahrens sich die delegierten Regelungskompetenzen beziehen. Es sind folgende Fälle:
- Fahrzeuge, die nach wie vor einen Fahrzeugführer benötigen, deren Automatisierungssystem die Aufgaben des Fahrzeugführers unter bestimmten Umständen aber umfassend und dauerhaft übernehmen kann.
- Fahrzeuge, die auf Parkierungsflächen, die vom übrigen Verkehr und den für Fussgänger und Radfahrer bestimmten Verkehrsflächen abgegrenzt sind, ohne Anwesenheit des Fahrzeugführers manövrieren dürfen.
- Fahrzeuge, die auf festgelegten Strecken ohne Führer verkehren dürfen, aber durch einen Operator überwacht werden müssen.
- Fahrzeuge mit geringen Dimensionen und niedriger Geschwindigkeit, die keinen Fahrzeugführer benötigen und auch ohne Festlegung bestimmter Fahrstrecken zugelassen werden können.
Fahrzeuge, die vollständig autonom fahren (Level 5), werden mit der SVG-Revision vom 27. März 2023 noch nicht abgedeckt. Sie werden allenfalls Gegenstand einer nächsten SVG-Revision ab 2030 sein.
Die mit der Gesetzesrevision eingeräumten Kompetenzen wird der Bundesrat im Rahmen einer neuen Verordnung über das automatisierte Fahren wahrnehmen. Darin werden insbesondere die Zulassung von Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem, die Genehmigung von Strecken für führerlose Fahrzeuge und von Parkierungsflächen für automatisiertes Parkieren sowie die Auswirkungen des automatisierten Fahrens auf die Rechte und Pflichten der Beteiligten geregelt.
Wie schnell können diese Änderungen in Kraft treten und wie zukunftstauglich sind diese?
Der Bundesrat wird die Vernehmlassung zur neuen Verordnung voraussichtlich noch 2023 eröffnen. Die Verordnung soll zusammen mit den geänderten SVG-Bestimmungen 2025 in Kraft treten. Es handelt sich um eine Thematik, die raschen Veränderungen unterliegt. Daher sollen bereits kurz nach Inkrafttreten der Verordnung Arbeiten für eine Revision aufgenommen werden, sofern dies notwendig ist.
Ab wann könnten automatisierte Fahrzeuge (Level 4 oder höher) auf Schweizer Strassen unterwegs sein?
Erstmals auf Schweizer Strassen unterwegs war ein automatisiertes Fahrzeug mit einer Versuchsbewilligung bereits im Jahr 2015. Seither wurden in verschiedenen Landesteilen verschiedene Versuche durchgeführt, vorwiegend mit sogenannten Shuttles. Eine reguläre Zulassung (Level 4) wird mit dem Inkrafttreten des SVG und der Verordnung ab voraussichtlich 2025 ermöglicht.
«Die Schweiz hat eines der modernsten Strassenverkehrsgesetze der Welt.»
Wo steht die Schweiz im Vergleich zu anderen (EU) Ländern?
Indem das Parlament mit der Revision des SVG die Grundlagen für das automatisierte Fahren geschaffen hat, hat die Schweiz eines der modernsten Strassenverkehrsgesetze der Welt. Mit der Verordnung wird die Schweiz voraussichtlich eines der ersten europäischen Länder mit einer Regelung zum automatisierten Fahren sein.
Wie funktioniert die zukünftige Zulassung von automatisierten Fahrzeugen? (resp. Fahrzeuge mit der Möglichkeit, automatisiert betrieben zu werden)
Grundsätzlich erfordert auch das Automatisierungssystem eine Typengenehmigung, die erteilt wird, wenn die reglementarischen Anforderungen an das Automatisierungssystem erfüllt sind. Solche Reglemente bestehen auf internationaler und europäischer Ebene für erste Anwendungsfälle des automatisierten Fahrens. Typengenehmigte Fahrzeuge können grundsätzlich zugelassen werden. Bei führerlosen Fahrzeugen ist zusätzlich die Genehmigung von Strecken, auf denen sie verkehren dürfen, erforderlich.
Wie sieht es mit Updates der Software aus. Was ist erlaubt und wie wird das kontrolliert?
Für Softwareupdates besteht ein internationales Reglement, das auch die Schweiz anwendet. Grundsätzlich muss der Hersteller ein Softwareupdate-Managementsystem implementieren. Ob die reglementarischen Anforderungen erfüllt sind, wird im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens geprüft. Softwareupdates müssen vor dem Roll-Out nach den gleichen Vorschriften geprüft werden, wie die ursprüngliche Software.

Wie steht es um die Interoperabilität zwischen Fahrzeugen, die in anderen EU Staaten zugelassen wurden und gibt es Funktionen, die ausgeschaltet werden müssen, wenn diese Fahrzeuge die Grenze überqueren?
Europäische Typengenehmigungen werden in der Schweiz grundsätzlich anerkannt. Eine europäische Typengenehmigung wird bei Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem nur für jene Länder erteilt, in denen sie die rechtlichen Vorgaben für die Verwendung des Automatisierungssystems erfüllen. Wenn dies der Fall ist, kann das Automatisierungssystem auch grenzüberschreitend verwendet werden.
In Ländern, in denen automatisiertes Fahren nicht bzw. noch nicht vorgesehen ist, darf sich das Automatisierungssystem nicht aktivieren lassen oder muss sich bei Grenzübertritt deaktivieren. Denn auch automatisierte Fahrzeuge müssen die Verkehrsregeln der jeweiligen Länder einhalten.
Wie kann der Gesetzgeber die Sicherheit gewährleisten und welche Parameter sind hier wichtig?
Die Sicherheit der Fahrzeuge und der technischen Aspekte wird mit den reglementarischen Vorgaben auf internationaler und europäischer Ebene gewährleistet und im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens überprüft. Die Sicherheit hinsichtlich der Verwendung muss im Rahmen der nationalen Gesetzgebung, welche die Rechte und Pflichten der Beteiligtenregelt, und für führerlose Fahrzeuge im Rahmen des Genehmigungsverfahrens der Strecken sichergestellt werden.
Wer haftet bei einem Unfall, der von einem automatisierten Fahrzeug verursacht wurde und wie müssen automatisierte Fahrzeuge versichert sein?
Für Schäden, die mit einem Motorfahrzeug verursacht werden, haftet grundsätzlich der Halter des Fahrzeugs. An diesem Grundsatz wird auch bei Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem festgehalten. Wie heute auch wird im anschliessenden Regressverfahren geprüft, ob beispielsweise ein technischer Defekt am Fahrzeug vorlag oder ein Fehlverhalten des Fahrzeugführers zum Schaden führte.
Gibt es ethische Vorgaben an die KI von automatisierten Fahrzeugen, welche die Hersteller beachten müssen? (z.B. Entscheidung wer zu Schaden kommt, wenn ein Unfall nicht mehr vermieden werden kann)
Grundsätzlich müssen in erster Priorität Getötete und Schwerverletzte vermieden werden. Eine Vorgabe, welche Personen im Falle einer unvermeidlichen Kollision getötet oder schwerverletzt werden müsste, wäre mit ethischen Prinzipien kaum vereinbar. Diese Grundsätze müssen beim Training der KI vor der Zulassung berücksichtigt werden. Ein individuelles, nicht überwachtes Lernen der Software nach der Zulassung ist mit den Typengenehmigungsvorschriften nicht vereinbar und daher nicht vorgesehen.